Foto: Julia Schenk / ichkoche.at
Nachhaltige Lebensmittel: Es braucht den Blick aufs Ganze
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Früher war Wien als Schneckenmetropole bekannt. Das Schneckenessen war in allen Gesellschaftsschichten populär. Nach und nach gerieten die Schnecken in Vergessenheit und werden momentan meist als französische Delikatesse serviert. Andreas Gugumuck will genau das ändern und mit seiner Schneckenmanufaktur den Wienerinnen und Wienern die Weinbergschnecke wieder schmackhaft machen.
Als wir Andreas Gugumuck in seiner Manufaktur in Rothneusiedl besuchen, begrüßt uns strahlend blauer Himmel – ein herrlicher Tag, um sich draußen umzusehen. Man hat das Gefühl, auf dem Land zu sein und nicht innerhalb der Stadtgrenzen Wiens. Dass wir uns am Stadtrand befinden, ist momentan noch so, erklärt uns der Schneckenzüchter, wird sich aber in naher Zukunft durch die Stadterweiterung ändern. Dazu aber später mehr. Erstmal stellt uns der gut gelaunte Chef der Manufaktur sein neuestes "Baby" vor: Die beiden Foodtruck-Anhänger in Schneckenform, die gerade mit einer Schicht Kupfer beklebt werden. Sie sind der genaue Nachbau eines Schneckenhauses, lediglich die oberste Spitze wurde etwas versetzt, damit man sie auch von vorne sehen kann. Seit März wird in der Manufaktur daran gearbeitet, schön langsam nehmen die Anhänger Formen an. Eine Herausforderung wird die Einrichtung mit den eckigen Küchengeräten, ist ein Schneckenhaus doch innen rund. Aber auch dafür hat der vor Ideen sprühende "Schneckenkönig" bereits einen Plan.
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Während wir noch die angehenden Foodtrucks bestaunen, nehmen die Mitarbeiter rund um Küchenchef Danny Kuban in der Küche der Manufaktur gerade Schnecken aus. Die kleinen Weichtiere haben zuvor mehrere Tage geschlafen und dabei ihren Darm ausgelüftet. Jetzt werden sie aus ihren Häuschen geholt und von Eingeweidesack und Leber getrennt. Letztere ist übrigens eine besondere Spezialität und hat die Form des Schneckenhauses. Ob wir sie kosten möchten? Unbedingt, so oft bekommt man ja schließlich nicht die Chance auf eine frische Schneckenleber. Sie schmeckt übrigens sehr fein, weitaus feiner als etwa Kalbsleber.
Die Gärten und Felder der Gugumucks liegen gleich gegenüber der Manufaktur. Im Vorbeigehen zeigt uns der Chef noch das Betriebsgebäude, in dem unten der Shop und oben das Bistro untergebracht sind. Es wurde – in Einklang mit der Gugumuck’schen Unternehmenskultur der Nachhaltigkeit – als Holzbau in Riegelbauweise errichtet. Die türkische Kanonenkugel auf der Spitze erinnert an den an den Taubenkobel, der an dieser Stelle stand und in den sie einst einbetoniert war.
Am Eingang zu den Feldern kommen wir am Future Garden vorbei. Er ist – wie könnte es anders sein – in Schneckenform angelegt und beheimatet vorwiegend mehrjährige, ausdauernde Pflanzen, die jeweils mehrere Funktionen haben und sich gegenseitig unterstützen. Einjährige Pflanzen werden in einem eigenen Bereich weiter hinten angebaut. Als wir das Gemüsebeet genauer begutachten, kommt der Küchenchef vorbei. Er schaut, was gerade reif ist. Denn bei Gugumuck wird das Farm-to-table-Konzept gelebt. Verwendet wird, was im Garten wächst und gerade Saison hat.
Auch an Visionen für die Zukunft mangelt es Andreas Gugumuck wahrlich nicht. Sein Blick schweift zum Haschahof, einem alten Gutshof am Nachbargrundstück, der abgerissen hätte werden sollen. Er möchte ihn weiterverwenden. Favoriten sei ein Stadterweiterungsgebiet, erklärt er uns, in den nächsten 15 Jahren wird die Stadt bis hier heraus wachsen und noch weiter. Das zu bekämpfen hätte keinen Sinn, stattdessen möchte er zeigen, wie man Stadtlandwirtschaft betreiben kann, mit Vertical Farming, Aquaponic und Insektenzucht. Und mit einem Gourmetrestaurant mit streng regionaler Küche aus Favoriten. Er gibt uns ein Beispiel: "In Favoriten wird kein Salz angebaut, aber wir können Kräuter verwenden, die Salz aus der Erde ziehen und deswegen salzig schmecken." Die Schnecken sind Teil eines Gesamtkonzepts.
Am hintersten Ende des Gartens treffen wir sie nun endlich. Drei verschiedene Arten leben auf dem Gugumuck-Hof. Babyschnecken werden zwar zugekauft, die Schnecken vermehren sich aber auch selbst. Sie fressen das Grünzeug, das in ihrer Parzelle wächst. Zusätzlich bekommen die Schnecken eigens für sie produziertes Bio-Spezialfutter. Einmal pro Woche ist "Festtag", da gibt es Gemüse. Dann hört man, wie sie es mit ihrer Raspelzunge abschaben. Wie die Schnecken in ihrem Gehege bleiben, möchten wir wissen. Die Wände, erklärt uns der Herr Gugumuck, sind an der Innenseite mit Rapsschmierfett und Salz bestrichen. Das meiden die Schnecken, würden sie von dem Salz doch austrocknen. Und woran erkennt man, ob die Schnecken geerntet werden können? Sie bilden am unteren Ende ihres Häuschens eine Rille. Das zeigt, dass sie ausgewachsen sind. Je nach Art dauert das bis zu 2 Jahre – ein wahres Slow Food.
Helix pomatia | Die heimische Weinbergschnecke wächst 2 Jahre, bis sie "geerntet" werden kann. Sie wird nur einmal im Jahr im Frühling gesammelt und hat einen kräftigen, nussigen Geschmack. |
Petit Gris | Die mediterrane "kleine Graue" ist bereits nach 4 Monaten essbereit und milder im Geschmack. |
Helix aspersa maxima | Die große Weiterentwicklung der Petit gris kann ebenfalls zweimal im Jahr gesammelt werden. |
Warum aber sollten wir Schnecken essen? Diese Frage stellen wir Andreas Gugumuck. Für die Antwort holt er erstmal weit aus, sie beginnt bei der Evolution des Menschen, beim Homo erectus. Der zweibeinige Primat begann als erster, tierisches Protein, in Form von Insekten, Muscheln, Krustentieren und eben auch Schnecken zu essen. Später wurden viele Schnecken gegessen, da sie als Fastenspeise galten. In Wien gab es einen eigenen Schneckenmarkt, auf dem ein reger Handel mit Schnecken betrieben wurde. Sie waren hierzulande in allen Gesellschaftsschichten etabliert. Dahin will Andreas Gugumuck zurück: "Wir machen aus einem uralten Produkt, dem wir quasi unsere Evolution verdanken, über die Wiener Kultur ein Future Food. Das Ganze manifestiert sich in einem Produkt, das alles über uns aussagt: Unser Schnecken-Erdäpfelgulasch. Da steckt alles drinnen, wofür wir stehen: Ein Produkt, das man früher gegessen hat, weil Schnecken ein Arme-Leute-Essen waren. Da hat man Gulasch klassisch mit Schnecken gemacht, weil man kein Rind hatte. Das kennen viele noch aus Kindertagen."
Future Food auch deshalb, weil die Schnecken im Rahmen einer umweltfreundlichen, nachhaltigen Landwirtschaft gezüchtet werden. Sie wachsen ressourcenschonender auf, als bei herkömmlicher Fleischproduktion. Laut Andreas Gugumuck werden für die Produktion von 1 kg Muskelfleisch von Schnecken 85 % weniger Futtermittel als bei Rindern benötigt. Die dafür verwendete Fläche ist geringer, ebenso wie der Wasserverbrauch.
Außerdem sind Schnecken vielseitiger in der Küche einsetzbar, als man vielleicht denken mag. In Gugumuck's Hof-Bistro wird ein 7-gängiges Schneckenmenü serviert, sogar zum Dessert kommt die Schnecke auf den Teller. Und wie schmecken sie nun, die Schnecken? Das weiß der Schneckenfarmer natürlich ganz genau:
Sie haben eine Konsistenz zwischen Muschel und Tintenfisch und schmecken nach Kalb, mit einer leicht erdig-nussigen Note.
Gute Qualität erkennt man übrigens am Aroma und am Biss. Wer noch nie Schnecken gegessen hat, dem rät der Gugumuck "einfach ausprobieren und über den Tellerrand schauen!"
Gugumuck-Fact-Box |
Die Wiener Schneckenmanufaktur ist der erste Betrieb in Österreich, der Schnecken nach EU-Richtlinie verarbeiten darf. 300.000 Schnecken haben auf den Gugumuck-Feldern Platz. Der größte Fan der Gugumuck-Schnecken ist der Krokodilteju im Tiergarten Schönbrunn: Er bekommt alle paar Monate 30 kg Schnecken. Im Bistro haben 28 Gäste Platz. Es werden 7-gängige Verkostungsmenüs serviert. Auch private Feiern können im Garten oder Bistro veranstaltet werden. |
Die Highlights unseres Ausflugs können Sie hier in unserer Bildergalerie anschauen.
Außerdem waren wir besonders neugierig und haben Andreas Gugumuck zum Food Rap gebeten.
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Kulinarisches
Autor: Iris Kienböck / ichkoche.at