Vielfalt vom Himalaja bis zur Südspitze

Indische Küche

Viele Einflüsse prägen die Gerichte und die Kochmethoden der indischen Küche: die jeweiligen Anbaugebiete der Grundnahrungsmittel, die verschiedenen Religionen und die Kastenordnung.
Die offenen Kochstellen hüllen ihre Umgebung in den Duft von Kardamom, Zimt und Chili. In den Lokalen nimmt der Gast auf geflochtenen Korbstühlen Platz; in der Küche gart, brodelt und raucht es, die Küche erscheint in feurigem Rot, festlichem Gelb und sattem Grün, getüncht von den Gewürzen, die an der Wand hängen. Gekocht wird auf offenem Feuer und zu den Farben mischt sich Ruß. Ein Bottich mit Wasser wird herumgetragen. Händewaschen ist angesagt, denn die Speisen in Indien werden traditionellerweise mit der rechten Hand gegessen - die linke, „unreine“, ist tabu.

„Wenn die Speise rein ist, ist auch die Seele rein“
Kaum ein Land hält so reichhaltige vegetarische Genüsse bereit wie der Süden Indiens; die meist ayurvedischen Gerichte der Hindus werden streng nach den religiösen Vorschriften zubereitet. Reis bildet den Hauptbestandteil jeder südindischen Mahlzeit; Hülsenfrüchte sorgen für die Proteinzufuhr.
Beliebte südindische Snacks sind die Samosas: frittierte Teigtaschen, gefüllt mit Gemüse oder Kartoffeln, Masala und Zitronensaft. Auch Pakoras sind eine Köstlichkeit, Gemüsebällchen in einem Teig aus Besan (Kichererbsenmehl), goldgelb herausgebacken. Eine Auswahl an Samosas und Pakoras ergeben eine perfekte Eröffnung für einen ausgedehnten kulinarischen Abend.

Thali von Nord bis Süd

Charakteristisch für die indische Küche ist das Thali. Auf dem namengebenden Metalltablett befinden sich eine große Portion Reis mit vielen kleinen Schälchen (Katoris). Diese Schälchen beherbergen Gemüsecurries, Dhai (kühlendes Joghurt), Chutneys, Dhal (Linsenpüree) und dünne, glühend-heiße Rasam-Suppen. Im Süden Indiens werden die Gerichte meist auf einem eingeschlagenen Bananenblatt serviert, umweltfreundlich und hygienisch zugleich.
Das Essen selbst fordert etwas Fingerfertigkeit: Der Reis wird mit den Fingern der rechten Hand zu kleinen Kugeln geformt, das Gemüse wird eingearbeitet und der Ball mit den Fingern zum Mund geführt.

Den Gaumen verbrennen, aber nicht die Kehle angreifen
Gewürze sind der Schlüssel zur indischen Küche. Die klingenden Namen der üppigen indischen Gewürzpalette erinnern an den großen Gewürzhandel im 16. und 17. Jh., als portugiesische, holländische und britische Händler die Schätze Indiens in die Welt brachten. Vor allem das Verhältnis und die Ausgewogenheit der Gewürze zueinander sind von großer Wichtigkeit. Das erdig-pfeffrige Aroma des Korianders, das intensiv gelbe Kurkuma (Gelbwurz) aus der Ingwer-Familie, die indischen Lorbeerblätter, die in Europa lange beim Bierbrauen verwendet wurden, die aromatisch duftenden Samen des Kreuzkümmels, die dunklen, süß duftenden Samen des Kardamoms, harziger Asafötida (Teufelsdreck), der nach würzigem Spinat schmeckende Bockshornklee, Safran, Fenchelsamen, Zimt und viele Gewürze mehr sorgen für die vielfältigen Aromen der indischen Küche.

Die wunderbare Welt der Masalas
In Curry steckt weit mehr als das den Europäern vertraute Gewürzpulver. Es ist die westliche Schreibweise für das Tamil-Wort Kari. Gemeint sind damit die süß-aromatischen Blätter der Karipflanze, aber auch eine traditionelle südindische Kochtechnik. Gemüse, Fleisch oder Fisch werden in einer dünnen, würzigen Sauce zu einem Ragout gekocht. Die Basis dieser Karisauce ist eine spezielle Gewürzmischung, für die jede Familie ihr ganz eigenes Rezept hat - das Masala.
Masalas, die Mischungen aus gemahlenen oder ganzen Gewürzen, sind unbestritten das Herz der indischen Kochkunst. Mit der Auswahl der Gewürze, ihrer Zusammensetzung und Mischung zeigt eine indische Köchin ihre Fantasie, Raffinesse und Mut. Mindestens sechs Gewürze sind nötig für ein Masala, nach oben hin schier unbegrenzt. Fast immer dabei sind Chili, Kümmel, Piment, Ingwer und Kurkuma. Damit ein Masala seinen vollen Geschmack entfalten kann, muss es gekocht werden, bevor die anderen Zutaten in den Topf kommen.
Vor allem im Süden des Landes wird scharf gewürzt; die schweißtreibende Wirkung der Gewürze kühlt den Körper.

Süß, sauer, scharf und mit Leidenschaft
Jede Inderin (und jeder Inder), die mit Leidenschaft kocht, blickt spöttisch auf diejenigen, die ihr Chutney fertig im Laden kaufen. Frisch zubereitet müssen die süß-sauren oder scharf eingelegten Gemüse und Früchte sein, mit fein gemahlenen Kräutern. Die Zutaten, die für Aroma, Farbe und Geschmack sorgen, werden erst geröstet, dann zerkleinert und zu einer Paste verrührt.

Von „Enten“ und Fischen
In Kerala, dem lang gezogenen Tropenparadies am arabischen Meer, gehört Fisch zur täglichen Kost. Als Curry, als meen mulagittathu - der Fisch wird dafür in einer dünnen Sauce aus Chili und Tamarinde oder unreifen Mangos serviert - oder als meen vattichathu, angerichtet in einer dicken Kokosnuss-Sauce.
Ein Muss in Bombay ist Bombay Duck, keine Ente, sondern der schlanke indische Seewels, so salzig, dass er gar keiner anderen Würze bedarf.
Auch die Goa-Küche, in der die portugiesische Vergangenheit weiterlebt, setzt auf Fisch; das „ Goa-Curry“ aus verschiedensten Fischen und flüssig wie eine Bouillabaisse, ist eine Delikatesse der Region.

Lamm für jeden Tag des Jahres
Die nordindische Küche ist seit dem moslemischen Einfluss im 8. Jh. nicht vegetarisch und wird dominiert von dicken Saucen. Erst am Tisch werden Speisen im Norden Indiens mit scharfen Chutneys und Gewürzen nach Belieben gewürzt; eine Erleichterung für viele Touristen, die die scharfe Grundstimmung noch nicht gewohnt sind.
In Nordindien trifft man auf die Mughlai-Küche, die berühmte Mogul-Küche, die an den kaiserlichen Höfen in Delhi und Agra entwickelt wurde und arabische und persische Elemente einbringt. Eine Spezialität der dortigen Küche ist biryani; gewürzter Kräuterreis aus langkörnigem Basmatireis, vermengt mit Rosinen, Nüssen, Kokosnuss und Obers; die Zugabe von kleinen Fleischstückchen ist optional.
Die Lammgerichte der Mughlai-Küche sind von einer solchen Vielfalt, dass man sagt, eine gute nordindische Köchin könne jeden Tag des Jahres ein anderes zubereiten.
Hammelgerichte beherrschen auch den Speiseplan in Rajasthan. Lamm- und Ziegenfleisch wird für Curry verwendet oder für keema oder kebabs klein gehackt. Eine Spezialität der Rajputen ist das sulla, marinierte, auf Holzkohle kross gegrillte Lammspieße.

Glutheiße, feuerrote Hühnchen aus dem Tandoori-Ofen
Der Tandoori-Topf, der Lehmofen aus Kaschmir, kommt nicht mehr überall zum Einsatz; tandoori steht nun für das Braten in einem Holzkohleofen. Das Tandoori-Huhn, das heiß und mit roter Haut durch das Färben mit Safran und roter Farbe aus dem Tandoori-Topf kommt, ist außen knusprig und innen herrlich mürb. Die Hühner werden in einer Mischung aus Joghurt und Kräutern mariniert, auf lange Eisenspieße gesteckt, deren Spitzen in der glühenden Holzkohle stecken. Alle paar Minuten werden die Fleischteile mit ghee und der Marinade bestrichen.

Beilage und Besteck in einem: Brot in allen Varianten
Chapatis, dünne Brotfladen, zählen zu den Grundnahrungsmitteln der nordindischen Küche und werden immer frisch zubereitet serviert. Werden sie über offenem Feuer geröstet, blähen sie sich auf und werden zu roti. Die Steigerungsform dazu heißt paratha, zubereitet aus Vollkornmehl und ghee, geklärter Butter, für die Milch so lange gekocht wird, bis das Wasser verdampft ist und alle Unreinheiten herausgekocht sind. Das übrig bleibende weiche, duftende Fett kann fast unbegrenzt ohne Kühlung aufbewahrt werden und wird zur Zubereitung vieler Gerichte verwendet. Wird das Brot - versetzt mit Germ - im Ofen gebacken, kommt es als nan auf den Tisch. Brot ist aber nicht nur unverzichtbare Beilage, die Brotstücke ersetzen das Besteck; mit ihnen wird gelöffelt und getunkt.

Kaugummi auf indisch: Paan
Ein indisches Mahl wird üblicherweise mit Paan abgeschlossen, dem Blatt des Betelnussbaums, in das Gewürze, Limonenpaste und gelöschter Kalk gewickelt werden. Wohlhabende überziehen die Blätter mit essbarem Blattsilber, eine edle Dekoration auch für andere Speisen. Paan wirkt verdauungsfördernd und adstringierend. Heute kann man Paan in Trafiken kaufen. Flink rollt der Verkäufer, der im Türkensitz inmitten von Papieren, Blüten und Tabakblättern sitzt, die Betelnussblätter mit den Gewürzen zu den kleinen Dreiecken.

Autor: Anneliese Kainer

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6 Kommentare „Indische Küche“

  1. barbara1982
    barbara1982 — 28.7.2015 um 10:23 Uhr

    sehr interessanter Artikel!

  2. heuge
    heuge — 17.6.2015 um 21:52 Uhr

    interessant und vieles ist neu, danke

  3. kstreit
    kstreit — 18.11.2014 um 12:24 Uhr

    Die Vielfalt ist phantastisch

  4. wienermaus
    wienermaus — 18.11.2014 um 11:54 Uhr

    vielen Dank für die ausführliche Beschreibung, verwende selber einige Gewürze davon!

  5. paella
    paella — 18.11.2014 um 09:21 Uhr

    Genau, Zungen-Aquaplaning

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